Kein Mangel an Mitarbeitern

 

Ein bisschen mitleidig schaue ich auf Betriebe, die darüber klagen, ihre Ausbildungsstelle nicht besetzen zu können. Oder keine Fachkräfte zu finden...

 

Reichlich Bewerber für die Lehrstelle!

 

Wenn unsere Werkstatt eine Ausbildungsstelle frei hat, so erhalten wir zwischen 20 und 30 Anfragen dafür, allesamt ernst zu nehmende Bewerberinnen und Bewerber. Erstaunt fragen mich die Kollegen: "Wie machst Du das? Ich suche schon so lange vergeblich!" Hmmm. Dann frage ich vorsichtig nach, wie gesucht wird - und erfahre, dass der Kollege in Wirklichkeit gar nicht sucht, sondern nur gefunden werden will. Konkret: er hat oft noch nicht mal eine Homepage. Und wenn er eine hat, dann ist da nirgendwo etwas von einer Ausbildungsstelle zu lesen, die Seite stagniert seit drei Jahren (und steht entsprechend im Ranking bei Google...) Nun ist er frustiert und findet die Beschäftigung mit der Homepage sinnlos.

 

Mancher hat dann gelesen, dass Facebook, Instagram, TicToc usw. modernere Medien seien als die altertümliche Homepage, und präsentiert sich lieber dort. Aber wie? So, wie er es schon immer gemacht hat, früher mit tollen Produktfotos im Papierprospekt, später vielleicht mit tollen Produktfotos auf der Webseite, nun mit tollen Produktfotos bei Facebook oder Insta - und die ganz fortschrittlichen laden auch schon mal ein Produktvideo hoch. Und immer noch rennen ihnen die Azubis nicht die Türen ein!

 

Werbung um Mitarbeiter wie um Kunden

 

Wir alle, die wir am Markt bestehen wollen, müssen unsere Produkte und Leistungen verkaufen, und wir haben das in der einen oder anderen Form verinnerlicht. Aber Ihr habt es doch auch gemerkt: Seit vielen Jahren ist unser Problem doch gar nicht mehr, an Aufträge zu kommen - sondern an Mitarbeiter! Trotzdem präsentieren sich 95% der Handwerksbetriebe nahezu ausschließlich so, wie sie vom Kunden gesehen werden wollen. Und glauben, damit ganz prinzipiell attraktiv zu sein, auch für Azubis und Fachkräfte. Aber so wird man (aus Bewerbersicht!) nicht unterscheidbar, denn so stellen sich doch alle dar.

 

Versetzt Euch doch mal in die Lage eines Menschen auf Stellensuche. Als Tischler möchte ich natürlich auch wissen, was diese Werkstatt für Produkte herstellt - aber viel mehr interessiert mich in dieser Situation doch: Wieviele Leute arbeiten da? Ist das ein junges Team, oder eine Belegschaft in allen Altersgruppen? Welchen Stellenwert hat Ausbildung dort? Welche Stimmung, welche Mentalität gibt es dort, wie arbeitsteilig oder ganzheitlich wird gearbeitet? Möglichst fortschrittlich, maximale Nutzung der neuen Technologien, oder eher konservativ, vielleicht im Denkmal-Bereich? Reine Männergesellschaft oder gemischtes Team? Und - wie authentisch kommen die Infos rüber, ist das einigermaßen glaubhaft und selber geschrieben oder sind da wieder einfach nur Floskeln und Textbausteine zusammengerührt?

 

Wie immer gilt: Unechtes überzeugt nicht

 

Die Selbstdarstellung muss also auch interessant und lesbar für künftige Bewerber werden, nicht nur für Kunden. Das klappt aber nur, wenn der Betrieb auch tatsächlich attraktiv für Bewerber ist. Die schönste Sellbstdarstellung nützt nichts, wenn im Alltag dann eben doch kein Respekt und keine Kommunikation gelebt wird. Erinnert Euch: Wer "hochwertige Handwerksleistung" dem Kunden verspricht, dann aber im Kundenkontakt unzuverlässig ist, schlecht vorfertigt und dann eine chaotische, unsaubere Montage liefert, der baut sich keinen guten Ruf auf. Gleiches gilt natürlich auch für unsere Mitarbeiter und Auszubildenden! Kunden nutzen Google und Bewertungsportale - das sind verhältnismäßig träge Mechanismen nach heutigem Maßstab. Junge Menschen finden durch die gute Vernetzung in Schreinerkreisen heute noch eher als unsere Kunden echte Informationen  über ihre potentiellen Arbeitgeber. 

 

So, wie in den Achtzigern und Neunzigern die Handwerker erst mühsam lernen mussten, sich um die Kunden zu kümmern, damit nach dem Wirtschaftswunder noch Aufträge kommen - so müssen sie heute lernen, ihre Betriebe für Mitarbeiter interessant zu machen, sonst kommen keine mehr! Es gibt noch so viele gute Leute, nicht weniger als früher, doch die gehen halt nicht in die Betriebe, die aus Mitarbeitersicht zum unteren Drittel gehören. Lern es, änder es, und Du findest wieder gute Leute! 

 

So habe ich mich nie um Fachkräfte sorgen müssen: keine der bei uns ausgebildeten Gesellinen und Gesellen (bis heute über 30) hat je ein Stellenangebot für Übernahme ausgeschlagen. Und auch heute noch bewerben sich regelmäßig auswärtige Fachkräfte hier, meist "initiativ" - also weil sie woanders wegwollen. Von Dir.

 

 

Schon echt anstrengend: Mitarbeiter pflegen

 

Zu Beginn des Ausbildungsjahres (ab 1.8.) habe ich vier harte Wochen vor mir, in denen ich nicht viel von meiner Routinearbeit leisten kann. Der/die Neue wird sofort mit einer konkreten Aufgabe konfrontiert, zum Beispiel einem geeigneten kleinen Möbel für Kunden oder den Betrieb. An dieser Aufgabe werden sämtliche Planungs- und Ausführungsschritte in aller Ruhe unterwiesen und durchgeführt, bis hin zur Maschineneinweisung. Natürlich kann ich sie oft sich selbst überlassen mit zeichnen, planen, denken - aber sobald eine Frage zu beantworten ist stehen mein Geselle und ich mit höchster Priorität bereit. Was glaubt Ihr, was das mit den Menschen macht? Die Motivation durch diese Unterstützung ist maximal, die Begeisterung über die eigenen Fortschritte erst recht!  Die sind Feuer und Flamme für ihren neuen Beruf.

 

Wirtschaftlich ist so ein Monat natürlich eine Katastrophe. Ähnlich gehen wir mit denen nämlich auch auf Montage um, soweit die Zeit es zulässt: Schon im Auto werden die anstehenden Arbeiten und Hintergründe erläutert, vor Ort kann so Bezug auf das bereits Besprochene genommen werden. Und sobald es nur geht dürfen die Azubis auch draußen erste Handgriffe selber unter Aufsicht übernehmen: Hier eine Tür kürzen (nachdem sie bei den ersten dreien assistiert haben, jetzt assistiert der Meister), das nächste Drehkippfenster unter Aufsicht justieren (nach Diskussion, warum gerade diese Schraube gedreht wird), Silikonfugen ziehen, wo es nicht kritisch ist, und so weiter. 

 

So sehr meine eigene Arbeit (und die des Gesellen) darunter leiden mag, es ist faszinierend, was dieser Input mit den Menschen macht. Die strahlen einen nicht nur morgens bei der Begrüßung an, die stehen den ganzen Tag kameradschaftlich und hochkonzentriert uns zur Seite. Auch wenn es mal ruppig wird, wir nervös, ungehalten und gereizt werden bricht dieses Band nicht.

 

Naja, das ist natürlich menschlich alles ganzganz toll und in einer Wohlfühl-Werkstatt möchten wir ja alle gern arbeiten. Aber nur dafür allein kann ich nicht pro Jahr mehrere Wochen an Leistungsfähigkeit opfern. Ich bin nicht ein reicher Messias, der für das Wohlergehen von jungen Menschen schuften kann ohne Rücksicht auf meine wirtschaftliche Rentabilität: Ich muss von diesem Betrieb leben können!

Der Clou ist aber: So lang einem diese Wochen auch scheinen mögen - sie sind nichts im Verhältnis zu den kommenden zweieinhalb Jahren. In der Folge kann ich nämlich diese jungen Menschen einsetzen fast wie vollwertige Kräfte. Eine Vielzahl von Routinearbeiten im Betrieb und vor Ort bei Kunden können die bald schon selbständig ausführen! Arbeiten, die ich durchaus oft mit Gesellenlohn kalkuliert habe...

 

Und so rechnet sich das. Mal eben in einer Altbau-Wohnung ein halbes Dutzend Türen dem neuen Boden anpassen? Im Objekt in drei Leerwohnungen alle Balkontüren und Fenster justieren? Sechs Schubkästen in Vollholz herstellen für den Einbauschrank, den der Geselle gerade baut? Eine Spritzlackierung der Treppenwangen aus Buchevollholz mit Füller, Buntlack und Decklack klar liefern? Erstes Lehrjahr kann viel davon, zweites Lehrjahr alles, dauert vielleicht was länger. Im dritten liefern die wie anderswo die Gesellen.

 

So geht Mitarbeiterpflege.

 

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© Stefan Hampel

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